War­um zum Ra­dio­lo­gen?

Die Qual der Fach­arzt­wahl

In­ter­na­tio­nal ein Son­der­fall kann Bild ge­ben­de Dia­gnos­tik in Deutsch­land auch von Nicht-Ra­dio­lo­gen er­bracht wer­den. Hier­bei han­delt es sich un­ter an­de­ren um Or­tho­pä­den, Chir­ur­gen, Uro­lo­gen oder In­ter­nis­ten, die im Rah­men Ih­rer Aus­bil­dung zum Fach­arzt die so ge­nann­te Fach- und Sach­kun­de er­wor­ben ha­ben, Rönt­gen­strah­lung am Men­schen an­zu­wen­den. Die­se Teil­ra­dio­lo­gen ha­ben das Recht, sich Pa­ti­en­ten selbst zu­zu­wei­sen, das heißt, eine Ar­beits­dia­gno­se zu stel­len und die­se Dia­gno­se mit dem ei­ge­nen Rönt­gen­ge­rät dann auch zu über­prü­fen. In den USA hat die Ame­ri­can Me­di­cal As­so­cia­ti­on (AMA) aus ethi­schen und ju­ris­ti­schen Grün­den emp­foh­len, Selbst­über­wei­sun­gen zur Rönt­gen­dia­gnos­tik grund­sätz­lich zu ver­mei­den, denn es zeig­te sich, dass bei kri­ti­scher Über­prü­fung die­ser Selbst­über­wei­sun­gen zwi­schen 1,7 und 7,7 mal häu­fi­ger ge­röntgt wur­de als in Ver­gleichs­pra­xen, die die­se Mög­lich­keit nicht hat­ten – und das ohne Ein­schrän­kun­gen bei der Qua­li­tät der me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gung.

Ra­dio­lo­gie vs. Teil­ra­dio­lo­gie

Auch in Deutsch­land wird hef­tig über die Rol­le der Teil­ra­dio­lo­gen bei der Strah­len­ex­po­si­ti­on der Ge­samt­be­völ­ke­rung ge­strit­ten. 79% (!) al­ler kon­ven­tio­nel­len Rönt­gen­un­ter­su­chun­gen wur­den 1997 von Teil­ra­dio­lo­gen er­bracht. Bei spe­zi­el­len Un­ter­su­chun­gen wie dem Rönt­gen des Brust­kor­bes (Tho­rax) lag der An­teil der durch Teil­ra­dio­lo­gen er­brach­ten Leis­tun­gen so­gar bei 90%. Doch wie steht es mit der Qua­li­tät der Un­ter­su­chung? Auch hier lohnt wie­der der Blick über den gro­ßen Teich: wäh­rend Qua­li­täts­über­prü­fun­gen in ra­dio­lo­gi­schen Pra­xen kei­ne we­sent­li­chen Qua­li­täts­män­gel er­ga­ben, wur­den bei 78% der teil­ra­dio­lo­gisch tä­ti­gen Pra­xen zum Teil gra­vie­ren­de Män­gel an der Ap­pa­ra­tur, bei der War­tung der Ge­rä­te und der Un­ter­su­chungs­do­ku­men­ta­ti­on fest­ge­stellt [Quel­le: Der Haus­arzt, 11/​01, S.34-36].

Die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Ra­dio­lo­gen ei­ner­seits und Teil­ra­dio­lo­gen an­de­rer­seits ist zwar grund­sätz­lich kon­struk­tiv, für Sie als Lai­en aber nicht ein­fach zu be­ur­tei­len. Ty­pi­sche ge­gen­sei­ti­ge und nach­fol­gend stark ver­ein­fach­te Vor­wür­fe sind:

  • Aus Sicht der Radiologen: Der Teilradiologe versteht die komplexe Aufnahmetechnik nur unzureichend und kann daher mit eigenen Geräten nicht die richtigen Bilder aufnehmen, geschweige denn sie richtig interpretieren bzw. einordnen. Radiologen müssen daher viele Aufnahmen noch einmal durchführen bzw. Bilder radiologisch nachinterpretieren. Gute Diagnostik kann OPs vermeiden und Krankheitsdauern verkürzen.
  • Aus Sicht der Teilradiologen: Der Radiologe beschreibt nur Bilder und kennt die klinischen Zusammenhänge (Ursachen und Wirkungen) nicht ausreichend, um die richtigen Bilder zu machen und handlungsleitende Diagnosen zu stellen. Die radiologischen Bilder müssen durch den Kliniker (Internist, Orthopäde, Chirurg) nachbefundet werden. Diagnose und Therapie sind untrennbar verbunden.

Si­cher kann das dop­pel­te Vor­hal­ten teu­rer Rönt­gen­leis­tun­gen in der teil­ra­dio­lo­gi­schen Pra­xis den Pa­ti­en­ten­kom­fort er­hö­hen und die kli­ni­sche Dia­gno­se­stel­lung stüt­zen. Sie ist auch un­er­läss­lich im Not­fall oder bei kla­ren Fra­ge­stel­lun­gen (z.B. Kno­chen­brü­che). Doch kann es nicht sein, dass Ar­gu­men­te wie Pa­ti­en­ten­kom­fort und teil­ra­dio­lo­gi­sche Ab­rech­nungs­über­le­gun­gen über so wich­ti­ge The­men wie Strah­len­ri­si­ko und Qua­li­täts­ge­sichts­punk­te ob­sie­gen. Beim Vor­wurf des man­geln­den Wis­sens um kli­ni­sche Zu­sam­men­hän­ge muss zu­sätz­lich ins Feld ge­führt wer­den, dass der Ra­dio­lo­ge im­mer nur so­viel wis­sen kann wie ihm mit­ge­teilt wird: ist der Über­wei­sungs­schein voll­stän­dig aus­ge­füllt und tritt der über­wei­sen­de Arzt in te­le­fo­ni­schen Kon­takt mit dem Ra­dio­lo­gen, kann die­se Wis­sens­lü­cke schnell und un­pro­ble­ma­tisch ge­füllt wer­den.

Für vie­le Un­ter­su­chun­gen, bei de­nen Rönt­gen­strah­lung ein­ge­setzt wird, sind Ver­fah­ren wie Ma­gnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie oder So­no­gra­phie (Ul­tra­schall), die ohne Ein­satz von Rönt­gen­strah­lung aus­kom­men, eine ernst­haf­te Al­ter­na­ti­ve. Durch die an­fangs er­läu­ter­te Mög­lich­keit der Selbst­über­wei­sung ei­nes Pa­ti­en­ten wer­den in kei­nem an­de­ren Land der Erde so vie­le Ul­tra­schall­un­ter­su­chun­gen durch­ge­führt wie in Deutsch­land. Dies ver­ur­sacht Kos­ten von jähr­lich etwa 2,5 Mrd. Euro al­lein im Be­reich der Ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen. Eine wei­te­re Stei­ge­rung ist öko­no­misch nicht mehr zu ver­ant­wor­ten und wur­de mit ziem­li­cher Si­cher­heit auch zu kei­ner Ver­bes­se­rung der Ge­sund­heits­ver­sor­gung der Be­völ­ke­rung füh­ren.

Auch die Ma­gnet­re­so­nanz­to­mo­gra­fie (MRT) ist längst den Be­gehr­lich­kei­ten der Teil­ra­dio­lo­gen aus­ge­setzt und es herrscht of­fe­ner Streit um die Fach­zu­ge­hö­rig­keit von MRT-Leis­tun­gen. Auch hier ist zu be­fürch­ten, dass ana­log zum Ul­tra­schall, der fast aus­schließ­lich von Nicht-Ra­dio­lo­gen er­bracht wird, der Zu­gang ver­schie­de­ner Fach­arzt­grup­pen zu die­sem au­ßer­or­dent­lich teu­ren Ver­fah­ren zu ei­ner un­kal­ku­lier­ba­ren Men­genaus­wei­tung führt und schlicht­weg nicht mehr be­zahl­bar sein wird. Ab­ge­se­hen da­von ist auch hier wie­der die Qua­li­tät der Un­ter­su­chung ge­fähr­det, denn Teil­ra­dio­lo­gen kön­nen Schnell­kur­se be­su­chen, um eine die­se Ge­rä­te ein­set­zen zu dür­fen. Auch ent­schei­den sich Teil­ra­dio­lo­gen meist für Ge­rä­te, die kos­ten­güns­tig in An­schaf­fung und Un­ter­halt sind, qua­li­ta­tiv je­doch nicht mit den „Pro­fi“-Ge­rä­ten des Ra­dio­lo­gen mit­hal­ten kön­nen. Fol­ge­rich­tig über­neh­men die Ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen die Kos­ten für eine MRT-Un­ter­su­chung durch Nicht-Ra­dio­lo­gen der­zeit (noch) nicht – die­se müs­sen also vom Pa­ti­en­ten ge­tra­gen wer­den.

Die­se Fra­gen soll­ten Sie stel­len !
Als Be­trof­fe­ner in ei­nem Kon­flikt zwi­schen schwer nach­zu­wei­sen­der me­di­zi­ni­scher Not­wen­dig­keit und öko­no­mi­scher Ab­rech­nungs­op­por­tu­ni­tät, soll­ten Sie als Pa­ti­ent da­her fol­gen­des hin­ter­fra­gen:

1. Ist die selbst­zu­ge­wie­se­ne Rönt­gen­un­ter­su­chung wirk­lich in­di­ziert und trotz vor­he­ri­ger fach­ge­biets­be­zo­ge­ner Ana­mne­se nö­tig? Wur­den Ih­nen Al­ter­na­ti­ven an­ge­bo­ten?

2. Kann der Teil­ra­dio­lo­ge die in­di­zier­te Un­ter­su­chung mit sei­ner Qua­li­fi­ka­ti­on, sei­nen Ge­rä­ten und sei­nem Per­so­nal durch­füh­ren und in­ter­pre­tie­ren? Fra­gen Sie nach sei­ner ra­dio­lo­gi­schen Aus- und ins­be­son­de­re auch Fort­bil­dung. Wie­vie­le Un­ter­su­chun­gen macht er selbst?

3. Sind die Ge­rä­te des (Teil-)ra­dio­lo­gen ge­prüft (z.B. Qua­li­täts­zer­ti­fi­kat) und auf dem neu­es­tem Stand der Tech­nik? Wie hoch ist die Strah­len­be­las­tung bei den häu­fig an­zu­tref­fen­den Alt­ge­rä­ten im Ver­gleich zu den mo­der­nen Ge­rä­ten des Ra­dio­lo­gen?

4. Wäre, so­fern in­di­ziert, die Un­ter­su­chung beim ra­dio­lo­gi­schen Fach­mann mit mo­der­nen Ge­rä­ten und ge­schul­tem Per­so­nal nicht qua­li­fi­zier­ter durch­zu­füh­ren, so dass Zeit­ver­lust und Orts­wech­sel ge­recht­fer­tigt er­schei­nen?

5. Zeigt der Teil­ra­dio­lo­ge Ih­nen das Bild nach der Un­ter­su­chung, in­ter­pre­tiert er es er­klärt er den Be­fund und sei­ne Dia­gno­se. Schau­en Sie, ob das Bild rich­tig her­um auf­ge­hängt wur­de, schau­en Sie selbst, ob es kon­trast­reich ist und fra­gen Sie ihn, was er sieht. Im Zwei­fel neh­men Sie das Bild mit und fra­gen Sie ei­nen Ra­dio­lo­gen nach­träg­lich um Rat.

6. Ist eine Ope­ra­ti­on (z. B. Knie­ge­lenks­spie­ge­lung, Herz­ka­the­ter­un­ter­su­chung) so­wie­so schon ge­plant? Dann ist eine MRT-Un­ter­su­chung meist un­sin­nig.

7. Ar­bei­tet der Teil­ra­dio­lo­gie mit Voll­ra­dio­lo­gen zu­sam­men? Wie sieht die Kom­mu­ni­ka­ti­on die­ser Ärzte aus? Wie steht es mit dem Ein­ho­len ei­ner zwei­ten Mei­nung beim Teil­ra­dio­lo­gen?

Als Pa­ti­ent müs­sen Sie wis­sen, dass auch Ärzte Men­schen sind und dass hin­ter ver­schie­de­nen Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven lei­der im­mer auch ab­rech­nungs­ori­en­tier­te und be­rufs­po­li­ti­sche Macht­kämp­fe mit deut­li­chen Aus­wir­kun­gen auf die Ver­sor­gung ste­hen: Die Ra­dio­lo­gen sind ge­gen­über den Teil­ra­dio­lo­gen mit nur 2% der Ärz­te­schaft un­ter­re­prä­sen­tiert. Un­ter den Ärz­ten lei­den sie un­ter dem Image des ver­meint­li­chen Groß­ver­die­ners, ohne dass das hohe In­ves­ti­ti­ons- und Be­triebs­grö­ßen­ri­si­ko aus­rei­chend ge­wür­digt wür­de. Auch die Me­di­en tun sich schwer mit der schwer zu kom­mu­ni­zie­ren­den Rol­le des Ra­dio­lo­gen. So wer­den in den po­pu­lä­ren Me­di­zinse­ri­en wie „Emer­gen­cy Room“ stän­dig Rönt­gen­auf­nah­men ge­zeigt, ohne dass aber der die Auf­nah­men an­fer­ti­gen­de und be­fun­den­de Ra­dio­lo­ge über­haupt in Er­schei­nung tritt.

Als mün­di­ger Pa­ti­ent wer­den letzt­end­lich Sie ent­schei­den müs­sen, wer bei Ih­nen wel­che Un­ter­su­chung durch­füh­ren soll, und Sie sind na­tür­lich von der ärzt­li­chen Ex­per­ti­se ab­hän­gig. Trotz­dem soll­ten Sie sich ak­tiv in den Un­ter­su­chungs- und Be­hand­lungs­pro­zess ein­brin­gen und ei­ner Un­ter­su­chung nur zu­stim­men, wenn Sie sich voll­stän­dig in­for­miert und über Al­ter­na­ti­ven auf­ge­klärt füh­len.

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